Der Vergleich ist die Wurzel allen Übels

27.11.2012 | 14:24 Uhr Moritz Honert

Unsere Freundin Sarah saß auf dem Sofa und tippte auf ihrem Smartphone. Facebook-App. Nur mal gucken, was der Freundeskreis gerade so macht. Während sich die anderen auf der Party unterhielten, blätterte sie durch die Leben ihrer Bekannten. Musik dudelte, die Stimmung war nett, doch ihr Blick wurde finster. Plötzlich platzte es aus ihr heraus. „Schon wieder ist der Typ im Urlaub“, motzte sie, das Telefon in die Luft haltend, „und wir sitzen hier nur ’rum und müssen morgen wieder zur Arbeit!“

„Was denn?“, fragte jemand, und Sarah hob an, wie sehr ihr die permanenten Gute-Laune-Meldungen ihrer Facebook-Freunde auf den Keks gingen. Überall lächelnde Kinder, spielende Welpen, ausgelassene Menschen. Eine glückliche Welt, die dank der Retrofilter der Handykameras auch noch aussehe wie ein Musikvideo. „Das eigene Leben“, sagte sie und guckte in den Raum, „ist dagegen doch total langweilig.“ Sie steckte das Handy ein und nahm sich noch ein Bier.

Mich machte das nachdenklich. Dass die anderen ein spannenderes Leben führen als man selbst, den Verdacht teilen ja viele. Doch warum eigentlich? Und warum macht uns vermeintliches Glück anderer unglücklich – und was hat Facebook damit zu tun?

„Sich zu vergleichen, ist Teil der menschlichen Natur“, sagt der Biopsychologe Peter Walschburger, der an der Freien Universität Berlin lehrt. Fast alles ergibt für unseren Verstand nur dann Sinn, wenn es in Relation zu einer Bezugsgröße steht. Und wer innerhalb der sozialen Rangordnung weit oben stehen möchte, braucht Anerkennung und Aufmerksamkeit – er muss lernen, sich möglichst gut in Szene zu setzen.

Im vergangenen Jahrhundert klang das dann zum Beispiel so: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot.“ Zack, zack, zack wurden die Bilder auf den Tisch geknallt. Wer in den späten 1990er Jahren einen Fernseher besaß, wird sich an den Angeberdreisatz aus dem Werbespot für Anlageberatung erinnern. Unsere Identität konstruieren wir zu einem guten Teil aus der Akzeptanz, die uns eine soziale Gruppe entgegenbringt. Ich bin, was die anderen denken, was ich bin.

In sozialen Netzwerken wie Facebook, das inzwischen von einer Milliarde Menschen genutzt wird, geschieht prinzipiell dasselbe wie in dem Werbespot – nur mit erweiterten technischen Mitteln. Die Pinnwände der Nutzer sind gepflastert mit Meldungen, in denen Freunde ihren Ausflug zum Badesee oder auch nur den letzten Einkaufsbummel als Event präsentieren, und Bildern, die aussehen wie Werbefotografien.

Ein Blick auf meine Facebook-Wand: Meine Schwester macht gerade Stopover auf dem Flughafen von Dubai, auf dem Weg zum Arbeiten in Tokio, ein Kumpel lädt regelmäßig seine Joggingrunden plus dabei verbrannten Kalorien hoch, eine Bekannte steht im Sari auf einer indischen Hochzeit, ein amerikanischer Kollege aus Montana war Jagen… Und was hab’ ich heute gemacht? Ich bin aufgestanden, habe gefrühstückt, Zeitung gelesen, sitze jetzt am Schreibtisch, arbeite und versuche, in den Pausen mit dem Kundenberater der Telekom rauszufinden, warum das Internet dauernd ausfällt. Klingt im direkten Vergleich alles nicht nach etwas, das man posten würde. Jedenfalls nicht, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“, mahnte schon der dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Sein französischer Kollege, der Aufklärer Montesquieu, wusste auch, warum: „Man will nicht nur glücklich sein, sondern glücklicher als die anderen. Und das ist deshalb so schwer, weil wir die anderen für glücklicher halten, als sie sind.“

Letzteres belegte kürzlich eine Studie der Stanford University in Kalifornien. Dortige Psychologen stellten fest, dass ihre Probanden dazu neigten, generell zu überschätzen, wie viel Freude die Mitmenschen in deren Leben verspüren. Da sie im direkten Vergleich schlechter abschnitten, fühlten sie sich selbst niedergeschlagener, als man vermuten würde.

Facebook verstärkt diesen Irrglauben. Wissenschaftler aus Utah beobachteten, dass Studenten umso eher die Ansicht vertraten, ihren Freunden gehe es generell besser als ihnen selbst, je mehr Zeit sie auf Facebook verbrachten. Umgekehrt gilt: Wer weniger Zeit im sozialen Netzwerk verbringt, empfindet das Leben eher als fair.

Die Wissenschaftler führten das auf die vielen positiven Meldungen, Anekdoten und Fotos zurück, die gewöhnlich auf Facebook gepostet werden. Traurige Geschichten gibt es hier selten zu lesen. Das mag daran liegen, dass Menschen eher geneigt sind, Freude zu teilen als Leid. Auf eine gewisse Weise ist Schmerz etwas Privateres als Glück.

Nun ist Neid nichts per se Schlechtes, sagt Biopsychologe Walschburger. Er hat sogar einen evolutionären Zweck, weil er uns Wünsche offenbart und zu Leistung antreibt. Dass wir uns ständig minderwertig fühlen, sei aber nicht lebenstauglich. Deshalb verfügt der Mensch eigentlich über einen Schutzmechanismus, um den Irrglauben, dass es alle besser haben als man selbst, zu vermeiden. „Normalerweise nehmen wir Unseresgleichen als Richtwert, wenn wir uns vergleichen“, sagt der Biopsychologe. Dadurch blieben Vorbilder erreichbar, die Eindrücke überprüfbar und die Reaktionen unmittelbar. Also nicht nur: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Sondern auch die Replik: „meine Dusche, meine Badewanne, mein Schaukelpferdchen“.

Genau diese Orientierung fällt im Internet häufig weg. Hier weitet sich der Blick über das eigene Lebensumfeld hinaus. Die Vorbilder würden unerreichbarer, die Eindrücke unrealistischer.

Noch ein Beispiel von meiner Facebook-Wand: Kumpel Stephan, der anscheinend gerade in Mittelamerika ist, postet. „Wer kann ein gutes Boutique- Hotel in Mexiko-Stadt empfehlen?“ Das klingt exotisch, aufregend, weltgewandt. Dass der Flug furchtbar lang und öde war, schreibt er nicht, auch nichts vom Jetlag. Das Bild, das wir uns von seiner Reise machen, wird damit automatisch toller, weil der banale oder anstrengende Teil ausgeblendet wird.

Das passiert umso schneller, je weiter der Betrachtete vom eigenen Alltag oder Bekanntenkreis entfernt ist. Die Studie aus Utah ergab auch: Die Überzeugung, dass alle anderen ein besseres Leben führen als man selbst, steigt parallel mit der Anzahl der Facebook-Freunde, die man gar nicht persönlich kennt. Schlimmstenfalls kommt so die ganze Wahrnehmung der Welt durcheinander. Wer soll noch eine normale Party genießen, wenn er wie unsere Freundin Sarah das Gefühl hat, alle anderen jetteten ständig von einer exotischen Lokalität zur nächsten? Wer sollte nicht enttäuscht sein, wenn sein eigenes Baby dauernd schreit, die der anderen einen aus dem Internet aber die ganze Zeit nur glücklich, gesund und satt anstrahlen?

Bleibt die Frage, wie man sich dagegen wehren kann. Auf gewisse Weise regelt sich das Problem mit dem Alter von selbst, sagt Walschburger. Das Gefühl, das eigene Leben sei im Vergleich langweilig, plage besonders junge Menschen. „Älteren gelingt es leichter, ihr Selbstbewusstsein und die eigene Wertschätzung vom Applaus der Gefolgschaft abzukoppeln. Gerade die Jugend aber, die sich von ihren Eltern abnabelt, um eigene Reproduktionsfamilien aufzubauen, ist stark daran interessiert, sich mit möglichst vielen anderen bekanntzumachen, sprich von einer Vielzahl von Menschen wahrgenommen zu werden.“ Und dieses Bedürfnis bedienen Facebook , Instagram, Google+, Twitter oder Datingwebseiten perfekt.

Wer sich dort unter Druck gesetzt fühlt, sollte gelegentlich einen Schritt zurücktreten und gucken, mit wem er sich aus welchen Gründen überhaupt vergleicht und zur Not den Stecker ziehen, empfiehlt Walschburger. Streng genommen sei der Mensch für die Art der indirekten Kommunikation, wie sie in sozialen Netzwerken stattfinde, von Natur aus gar nicht gemacht. Auch das müsse man erst lernen.

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„Es gibt immer Leute, die meinen, das Gras auf der anderen Seite des Zaunes sei grüner.“ Dieser Satz soll von Alexander Solschenizyn stammen. Wie mag er darauf gekommen sein? Wahrscheinlich aus Erfahrung. Es gibt immer Menschen, die neidisch auf andere schauen: Das Gras, das drüben wächst ist grüner, der Job, den ein anderer hat, wird besser bezahlt, woanders ist das Leben besser. Es scheint zur menschlichen Natur zu gehören, dass wir uns mit anderen vergleichen. Manche Wissenschaftler meinen, dass dadurch der Forschergeist des Menschen entfacht und das Interesse an der weiteren Entwicklung des Lebens angestoßen wurde. Das stimmt auch: Indem ich mich mit anderen vergleiche, kriege ich raus, dass eben nicht alles gleich ist, dass es Unterschiede gibt, die auch bedeutsam sind. Zum Beispiel wie Männer oder Frauen das Leben empfinden und gestalten. Kinder und Erwachsene haben ganz unterschiedliche Eindrücke und Anschauungen vom Leben. Und die verschiedenen Kulturen  der Völker belegen das auch. Erst wenn ich die Unterschiede wirklich wahrnehme, wird das Interesse wach, es auch zu verstehen. Wenn ich aufmerksam wahrnehme wie anders ein anderer Mensch lebt, entsteht bei mir das Interesse, ihn in seiner Andersartigkeit zu verstehen. Vielleicht kann ich von ihm sogar lernen, etwas übernehmen oder mit ihm gemeinsam tun. Wahrnehmen, verstehen und dann handeln, das ist der Dreischritt, den wir gehen, wenn wir unsere so vielfältige Gesellschaft friedlich weiterentwickeln wollen. Der erste Schritt ist, wirklich wahrzunehmen wie verschieden wir sind – also mit offenen Augen und Ohren durchs Leben zu gehen und mit einem wachen Geist und aufgeschlossenem Herzen einander zu begegnen.Das aufgeschlossene Herz ist in der Bibel das Sinnbild dafür, dass sich ein Mensch dem anderen liebevoll zuwendet und nicht neidisch, verständnisvoll und nicht vorschnell urteilend. Vielleicht hat Alexander Solschenizyn das gemeint, dass der Neid sich zu schnell einstellt, wenn wir uns untereinander vergleichen. Es gibt immer Leute, die meinen, das Gras auf der anderen Seite des Zauns sei grüner. Der neidische Blick macht unzufrieden und böse; manchmal führt er auch zu Übergriffen und Gewalt gegen andere. Neid ist die Wurzel allen Übels heißt es in einer Lebensweisheit der Bibel. Der neidische Blick über den Zaun tut dem Leben nicht gut. Vielleicht wirkt das, was ich jetzt schildere abwegig oder merkwürdig. Ich betreibe eine kleine Landwirtschaft. Dazu gehört eine Schafherde, die ich auf einer Koppel halte. Da passiert es, dass ein Schaf seinen Kopf durch den Zaun steckt; das Gras auf der anderen Seite ist grüner. Es verheddert sich in dem Zaun. Und wenn’s da drin hängt, drängelt es weiter nach vorne statt den Kopf langsam zurückzuziehen. Schafe sind da ein bisschen doof, hat mir ein Schäfer gesagt. Da fehlt anscheinend die vernünftige Einsicht, den Kopf behutsam aus der Schlinge zu ziehen, ist besser als dem neidischen Blick: „da drüben ist es grüner“ zu folgen bis du da nicht mehr rauskommst. „Es gibt immer Leute, die meinen, das Gras auf der anderen Seite des Zaunes sei grüner.“ Die wird’s immer geben. Aber niemand muss dieser neidischen Einstellung folgen.

Es ist auch möglich, zum Leben Ja zu sagen wie es ist.