Was steht auf der Kuppel vom Berliner Schloss?

Berlin - Nach anhaltender Kritik will das Berliner Humboldt-Forum das Erscheinungsbild seiner rekonstruierten Schlossfassade an entscheidender Stelle ändern. Ein weithin sichtbares Spruchband um die Kuppel mit christlichem Unterwerfungsanspruch soll künstlerisch abgewandelt werden.

Das Humboldt-Forum solle ein „weltoffener, demokratischer Debattenort“ werden, kündigte Generalintendant Hartmut Dorgerloh am Donnerstag in Berlin mit Hinweis auf den Koalitionsvertrag im Bund an. Deswegen müssten Fragen etwa zu Kreuz und Kuppel mit Inschrift immer wieder neu gestellt werden. Dabei sollte der Versuch unternommen werden, „vielleicht auch neue Antworten zu formulieren“. Dorgerloh will Ideen entwickeln, „wie wir mit etwas umgehen, was bis heute nicht befriedigt und nicht befriedet“.

Das weithin sichtbare Spruchband um die Kuppel des gerade für 680 Millionen Euro errichteten Zentrums für Kultur, Kunst und Wissenschaft fordert eine Unterwerfung aller Menschen unter das Christentum. Mit der nachträglich aufgesetzten Kuppel, Kreuz und Bibelspruch unterstrichen die Hohenzollern während der Revolution 1848 den Herrschaftsanspruch der Monarchie gegen demokratische Bestrebungen.

Im Humboldt Forum werden auch Kunstobjekte aus kolonialen Unrechtszusammenhängen gezeigt. Die Verantwortlichen wollen das Zentrum zu einem Diskussionsforum über die koloniale Vergangenheit Deutschlands und die Auswirkungen bis in die Gegenwart machen. Dabei gelten die christlichen Insignien als Symbole auch kolonialer Unterwerfung als erschwerend.

Mit Hilfe der Initiative Leuchtturm Berlin soll das Spruchband nun künstlerisch bearbeitet werden. Die Initiatoren Sven Lochmann und Konrad Miller wollen dem umstrittenen Spruch kurzfristig „eine dauerhafte, positive und zeitgemäße Aussage entgegensetzen“. Dazu soll nach bisherigen Entwürfen ein Netz von Leuchtdioden vor das weiter sichtbare Spruchband montiert werden. Bei Einbruch der Dunkelheit sollen Auszüge aus Grundgesetz und Menschenrechtserklärung als Laufschrift vor dem Bibelspruch zu lesen sein.

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Das historische Zitat montierte Friedrich Wilhelm IV. selbst aus mehreren Bibelversen: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“

Bisher hieß es beim Humboldt Forum, Kuppel, Kreuz und Inschrift seien „im Kontext ihrer historischen Entstehungssituation“ zu verstehen. „Die Akteure des Humboldt Forums sind sich daher der Problematik bewusst, die von einer städtebaulich und baukulturell begründeten, gleichwohl politisch und religiös interpretierbaren Wiederherstellung der monarchischen und christlichen Symbolik an einem Gebäude wie dem Humboldt Forum ausgeht.“

Das 40.000 Quadratmeter umfassende Gebäude bespielen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit zwei ihrer Museen, das Land Berlin, die Humboldt-Universität und die Stiftung Humboldt Forum. Gezeigt werden Exponate aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien sowie Objekte zur Geschichte Berlins. Umstritten ist die koloniale Vergangenheit von Ausstellungsstücken.

Ein Freitagnachmittag im März, auf der Dachterrasse des Humboldt Forums. Aus einigen Lautsprechern ertönt plötzlich ein Lied – zur Verwunderung nicht nur dieses Besuchers: „Völlig überraschend, auf dem Dach des Schlosses so eine Musik auf diese Weise geliefert zu bekommen, das ist nun ganz außergewöhnlich", sagt der Mann. "Ich finde das toll, aber mehr weiß ich dazu nicht.“

Mehr kann man auch kaum wissen, denn es gibt nirgendwo einen Hinweis auf die Klanginstallation von Emeka Ogboh. Der nigerianische Künstler hat das traditionelle Volkslied "Nne, Nne, Udu" als Gegenentwurf zum Kreuz auf der benachbarten Kuppel inszeniert. Das christliche Symbol sei ein Instrument der kolonialen Herrschaft Europas, meint er.

Ähnlich empfindet das auch der aus Kamerun stammende Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung: „Die extreme Gewalt des Christentums bei der Kolonialisierung kann nicht vergessen werden, und die Tatsache, dass man auf dem Humboldt Forum, das Objekte aus aller Welt beherbergen soll, das Kreuz errichtet, ist eine unglaubliche Zurschaustellung von Überlegenheit.“

Doch geht es wirklich um die christliche Überlegenheit im Humboldt Forum? Das Kreuz auf der Kuppel ist Teil der historischen Rekonstruktion des Berliner Schlosses, die vor 20 Jahren vom Bundestag beschlossen wurde.

„Das sind zwei unterschiedliche Gedanken gewesen", sagt er: "Einerseits will man das Schloss wieder aufbauen und hat dabei aber nicht wirklich bedacht, was das sein soll; und dann ist man auf diese Idee des Humboldt Forums gekommen – und die hat aber eine Dynamik entwickelt, jetzt durch neuere postkoloniale Diskurse, so dass das Ursprungsmodell, diese Ursprungsidee sehr in Frage steht.“

Eine Dynamik, der sich das Humboldt-Forum nicht entziehen kann und will, so der Generalintendant des Museums, Hartmut Dorgerloh. „Die Diskussionen, die wir inzwischen haben, sind natürlich davon geprägt, dass Migrationsprozesse intensiver geworden sind“, sagt er. „Black Lives Matter, Globalisierungskritik, militärische Auseinandersetzungen und auch das Konzept der europäischen Aufklärung, das nicht mehr unwidersprochen bleibt: Das heißt, man muss sich im Humboldt Forum immer wieder neu ins Verhältnis setzen auch zur Fassade, und deshalb ist eine unserer Aufgaben, dass wir uns sehr intensiv mit der Geschichte des Ortes beschäftigen und auch mal fragen: Warum ist denn damals so eine Schlosskapelle auf das Schloss gekommen?“

Die Antwort ist klar: Weil Friedrich Wilhelm IV. es so wollte. Der Preußenkönig war ein absolutistischer Herrscher und zugleich überzeugter Christ, erklärt der Vorsitzende des Fördervereins Berliner Schloss, Richard Schröder. Deswegen ließ er ab 1844 auf dem bereits 140 Jahre alten Schloss eine Kapelle errichten – in einer weithin sichtbaren Kuppel samt Kreuz.

Doch daraus lasse sich kein heute noch gültiger kolonialer Herrschaftsanspruch des Christentums ableiten, betont der Theologe Schröder. Die meisten Christen lebten ohnehin nicht mehr in Europa. „Allein in Nigeria leben doppelt so viel Christen wie in Deutschland", sagt Schröder. "Hier wird nun so getan, als ob Christentum und Kolonialismus und Weiße ein Zusammenhang sei gegen den Rest der Welt. Und das stimmt einfach nicht mehr. Früher hat es einmal diesen Zusammenhang gegeben, dass die Kolonialmächte auch die Förderer der christlichen Mission in anderen Erdteilen waren. Aber das ist doch vorbei, die Leute sind 100, 150 Jahre zurück in ihrer Auffassung.“

Aus Sicht postkolonialer Theoretiker wirkt das Erbe des christlichen Kolonialismus jedoch bis heute nach, in Strukturen wie in den Köpfen der Menschen.

Schröders Ärger dagegen richtet sich vor allem gegen eine geplante Informationstafel auf der Dachterrasse des Humboldt-Forums. Sie soll das Bibelzitat einordnen, das der König auf einem Spruchband um die Kuppel anbringen ließ. In goldenen Buchstaben ist dort heute wieder zu lesen, „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“

Auf der Informationstafel soll es heißen: „Der König behauptete mit der Inschrift einen Alleingültigkeits- und Herrschaftsanspruch des Christentums. Davon distanzieren sich alle Institutionen im Humboldt Forum ausdrücklich.“

Richard Schröder sagt dazu: „Er, der König, müsse für sein Tun und Handeln vor Gott Rechenschaft ablegen, das ist der Sinn dieses ‚alle Knie sollen sich vor Jesus beugen‘. Und nun wird daraus gemacht, dass der König offenbar irgendwie Leute zwingen will, in die Knie zu gehen. Das steht doch da gar nicht. Das steht weder in der Bibel noch steht das auf dem Spruch. Und ich meine, das geht nicht: Eine staatliche Behörde kann nicht eine willkürliche Deutung königlicher Absichten in Bronze gießen lassen.“

Vielleicht ist das der Kern der immer wieder hochkochenden Debatte um die christlichen Symbole: Wer hat die Deutungsmacht in diesem Streit? Und: Wer spricht eigentlich für diejenigen, die in der Kolonialzeit unter dem Kreuz gelitten haben?

Das Humboldt Forum wolle diesen Menschen einen Raum geben, macht Hartmut Dorgerloh deutlich, doch die Frontlinien verliefen manchmal anders als erwartet, sagt er: „Da sagte neulich eine Frau aus dem Kongo in einer Diskussion, als sie angesprochen wurde auf die Frage, ob sie weiß, an was für einem schwierigen Ort sie sei: Ja gut, dann habt ihr damit ein Problem, macht das aber nicht zu unserem Problem! Dann müsst ihr euch damit beschäftigen, das ist eure Geschichte. Bei uns hat Kirche eine ganz andere Funktion. Und im Übrigen, kennt ihr einen Ort auf der Welt, wo es keine Probleme gibt?“

Auch Johann Hinrich Claussen wundert sich manchmal über die Frontlinien im Streit um Kreuz und Inschrift auf dem Humboldt Forum – und über das Bild des Christentums, das damit transportiert werde. „Ich würde schon sagen, dass die evangelische Kirche in Deutschland nicht gerade fundamentalistisch auftritt und auch nicht triumphalistisch, sondern eher zurückhaltend, manchmal fast schon zu leise oder zu vorsichtig", sagt Claussen.

Deshalb ärgere es ihn schon, "dass durch diese ganze Debatte um das Schloss der Eindruck entsteht: Hier ist die säkulare Moderne, und da ist das reaktionäre Christentum", so Claussen. "Diese Aufteilung, die schmeckt mir gar nicht, und deshalb habe ich selber meinen Vorbehalt oder meinen Ärger an diesem Kreuz und der Debatte darum.“

Die Debatte wird weitergehen: Neben der Informationstafel zur Geschichte von Kuppel und Kreuz plant das Humboldt Forum, die Inschrift auf der Kuppel nachts mit anderen Texten zu überblenden – zum Beispiel mit Zitaten aus dem Grundgesetz.

Damit will sich das Museum von dem umstrittenen Bibelspruch distanzieren. Ob das den Kritikern reicht, ist fraglich. Sonst bliebe immer noch die Möglichkeit, Kreuz und Inschrift wieder von der Kuppel zu entfernen. Allerdings bräuchte es dafür wohl einen erneuten Bundestagsbeschluss.