Wie kündigt sich ein Delir an?

Auch in Deutschland gibt es mittlerweile zusätzliche Betreuung für ältere Patienten nach amerikanischem Vorbild. Am Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld beispielsweise arbeiten die Ärzte mit ehrenamtlichen Helfern, die den Patienten vorlesen, mit ihnen Kreuzworträtsel lösen oder einfach nur Gesellschaft leisten. So kann im besten Fall durch die intensive Betreuung ein Delir gar nicht erst entstehen.

Angehörige sind ebenfalls gefragt. Für sie gelten Regeln im Umgang mit Delir. "Nicht wegreden", warnt Ärztin Spies. Pfleger und auch Angehörige bräuchten viel Geduld. Auch vor Operationen könne schon einiges geleistet werden. "Patienten haben immer Angst", sagt sie. Die müsse man ihnen nehmen, zum Beispiel mit viel Aufklärung in Gesprächen. "Wir müssen ehrlich zu den Patienten sein", sagt Spies.

Auf der Charité-Station schließt Pfleger Schubert die Tür eines Zimmers auf der modernen Intensivstation. Stille. Nichts piepst, die Monitore sind gut versteckt. Über den Bett hängen keine Neonstrahler, es leuchtet ein künstlicher Lichthimmel. Der sehe genauso aus wie der Himmel draußen, erläutert Schubert. Auch das gehört hier zur Delir-Prävention.

Unter einem Delir – auch Delirium oder Verwirrtheitszustand genannt – versteht man eine vorübergehende psychische Störung, die sich durch Störungen des Bewusstseins, der Orientierung und der Wahrnehmung sowie körperliche Symptome wie Schwitzen, Bluthochdruck oder erhöhten Puls auszeichnet.

Folgende Symptome können bei einem Delir vorliegen:

  • Störung des Bewusstseins und der Orientierung (z.B. Schläfrigkeit und nicht-Zurechtfinden bzgl. Ort und Zeit)
  • Störungen des Wahrnehmens (z.B. Halluzinationen, z.B. Sehen oder Hören von Dingen, die nicht da sind, etwa weiße Mäuse, die durchs Zimmer huschen) und des Denkens (z.B. wahnhafte Überzeugungen, vergiftet oder bedroht zu werden, oder Verwirrtheit des Denkens)
  • Körperliche Unruhe, erhöhte Schreckhaftigkeit, depressive Symptome und Angst
  • Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus mit nächtlicher Verschlimmerung der Symptome
  • vegetative Symptome in Form von Schwitzen, Bluthochdruck, schnellem Puls usw.

Der Beginn eines Delirs ist gewöhnlich akut. Die Symptomatik ist im Tagesverlauf typischerweise wechselnd mit besseren und schlechteren Phasen.

Man geht davon aus, dass ca. 10 bis 15 Prozent der Patienten auf chirurgischen Stationen und ca. 15 bis 25 Prozent der Patienten auf internistischen Stationen und insgesamt 30 bis 40 Prozent aller Patienten über 65 Jahre im Verlauf ihres stationären Aufenthaltes ein Delir entwickeln.

Bei bestimmten Erkrankungen sind Delire besonders häufig: Verbrennungen 20 bis 30 Prozent, AIDS 30 Prozent, Herzoperationen 70 Prozent, Hüftgelenksoperationen nach Fraktur 40 bis 50 Prozent.

Folgende Risikofaktoren bestehen für die Entwicklung eines Delirs:

  • das Alter (vor allem alte Menschen und Kleinkinder)
  • eine vorbestehende Hirnschädigung (z.B. Alzheimer-Demenz, vaskuläre Demenz)
  • Alkoholabhängigkeit
  • Zuckerkrankheit, Fehlernährung, Tumoren und andere schwere körperliche Erkrankungen
  • Behandlung mit vielen Medikamenten
  • Fieber
  • ein früher aufgetretenes Delir

Die häufigsten Ursachen eines Delirs sind:

  • Überhöhte Dosis von Medikamenten wie z.B. bestimmte Antibiotika, Antidepressiva, Beruhigungsmittel (Benzodiazepine), Parkinson-Medikamente, Cortison, Antiepileptika
  • Entzug von Drogen (v.a. Alkohol) und Medikamenten (v.a. Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine, z.B. Valium® oder Tavor®)
  • Erkrankungen des Gehirns
  • Schwere körperliche Erkrankungen

Ein Delir ist immer ein Notfall, weshalb schnell eine Krankenhauseinweisung erfolgen sollte. Entscheidend für die Behandlung ist, die Ursache des Delirs schnell herauszufinden, um eine unverzügliche Behandlung der zugrundeliegenden Störung einzuleiten.

Bei der Behandlung unterscheidet man Maßnahmen, die auf die Behandlung der zugrundeliegenden körperlichen Ursachen abzielen (z.B. Kontrolle des Wasser- und Salzhaushaltes und des Blutzuckers, Herz-Kreislauf- Überwachung, Magenschutz) und Maßnahmen zur Behandlung der psychischen Symptome. Dazu gehören:

  • Behandlung von Wahnerleben, Halluzinationen und Erregungszuständen mit starken Neuroleptika wie z.B. Haldol® oder Risperdal®
  • Behandlung von Schlafstörungen mit müde machenden Neuroleptika wie z.B. Eunerpan®
  • Für die Behandlung eines Delirs im Rahmen der Alkoholabhängigkeit gibt es besondere Therapieverfahren

Etwa 43 Prozent der Sterbenden sind von deliranten Symptomen betroffen. Gründe dafür können Stoffwechselstörungen, Medikamentennebenwirkungen oder Medikamentenentzug, ein Multiorganversagen, unerkannte epileptische Anfälle, die Ausdehnung der Grunderkrankung auf das Zentralnervensystem oder schlicht ein Umgebungswechsel sein (Tab. 1).

Bei dem Wort Delir denkt mancher sofort an das Alkoholentzugsdelir. Delirien haben zahlreiche Ursachen und kommen sehr häufig in der Palliativversorgung vor. Nur in seltenen Fällen handelt es sich dabei um Alkoholentzugsdelirien. Delirien werden sehr oft verkannt. Verwandte Begriffe sind Verwirrtheitszustände oder Enzephalopathien. Besonders gefährdet, ein Delir zu entwickeln, sind alte Menschen, Menschen mit multiplen Erkrankungen, insbesondere Leberund Nierenfunktionsstörungen, Menschen mit Demenz oder anderen neurologischen Erkrankungen.

Symptome

Nach der Confusion Assessment Methode (CAM) ist ein Delir gekennzeichnet durch:

Bei einem Delir kann es zu folgenden Veränderungen kommen:

  • Veränderung des Bewusstseins von Schläfrigkeit bis hin zum Koma

  • Verminderung der Aufmerksamkeit und dabei insbesondere zu Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit auf etwas zu richten und aufrechtzuerhalten

  • Umstellungserschwernis

  • Verminderte Gedächtnisleistung

  • Eingeschränkte Orientierung

  • Verminderte Fähigkeit, zu sprechen

  • Veränderung, Verzerrungen der Wahrnehmungen in Form von Sinnestäuschungen vor allem im Bereich der optischen Wahrnehmung (illusionäre Verkennungen, optische Halluzinationen)

  • Einschränkungen des abstrakten Denkens

  • Überaktivität oder reduzierte Aktivität (Psychomotorik)

  • Veränderte Emotionalität (vermehrte Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Aggressivität, Euphorie, Apathie)

  • Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus Emotionale Labilität mit Ängstlichkeit und Unruhe sind häufige Erstsymptome eines Delirs.

Beachtet wird meist das hyperaktive Delir mit Agitation und Halluzinationen, da es für die Umgebung sehr störend ist. Häufig treten jedoch auch hypoaktive Delirien mit Apathie und Schläfrigkeit auf. Sie werden oft nicht festgestellt. Anders als für die betreuenden Gesundheitsberufe ist das hypoaktive Delir für den Betroffenen und seine Angehörigen mindestens genauso einschränkend wie das hyperaktive Delir. Insgesamt ist die Belastung für Betroffene und Angehörige ohnehin groß. Für die Angehörigen entsteht Leidensdruck dadurch, dass sie Verhaltensweisen an einem geschätzten, geliebten Menschen feststellen müssen, die sie so nicht kennen und sich damit aus ihrer Rolle als Partner, Kind, Freund distanzieren müssen, da das Verhalten für sie nicht immer verstehbar ist. Dies geschieht vor allem beim hyperaktiven Delir. Auch beim hypoaktiven Delir ist der Verlust durch die Umgebung groß, haben sie es doch mit einem Menschen zu tun, der kaum mehr ansprechbar ist.

Medikamentöse Therapie

Delirien sind glücklicherweise gut behandelbar. Medikamentöse Maßnahmen bestehen aus Neuroleptika, beispielsweise Haloperidol. Begleitend ist häufig ein Benzodiazepin wie Lorazepam sinnvoll.

Bei sehr starker Agitation ist die Kombination eines eher beruhigenden Neuroleptikums wie Melperon, Pipamperon oder gelegentlich auch Levomepromazin sinnvoll.

Nicht medikamentöse Maßnahmen

Nicht medikamentöse Maßnahmen sind ebenso wichtig wie die Verordnung von Medikamenten. Zu empfehlen sind folgende Strategien:

  • Für Sicherheit sorgen: Dafür sorgen, dass der Betroffene nicht allein umherirrt und in Gefahrenbereiche kommt. Sitzwachen stellen.

  • Besuche fördern: Freunde und Familie zu Besuchen ermutigen.

  • Aufklärungen: Auch im Delir sind Menschen oft noch Erklärungen zugänglich. Sie müssen wegen der Konzentrationsstörungen jedoch einfach sein und unter Umständen mehrfach wiederholt werden.

  • Herumgehen erlauben (eventuell unter Aufsicht).

  • Keine Fixierungen: Fixierungsmaßnahmen verstärken die Unruhe meist.

  • Bei Sehbehinderung oder Schwerhörigkeit für Brille bzw. Hörgerät sorgen.

  • Sichere und konstante Umgebungsbedingungen: Bettbereich hell und ruhig, wenig Personalwechsel, keine unnötigen Verlegungen.

  • Tagesaktivitäten einplanen (z. B. Spazierengehen, Reden, Musikhören, Fernsehen).

  • Schlafgewohnheiten beachten.

Delirmanagement

Wichtig ist die Gestaltung der Umgebung mit bekannten Gegenständen, Orientierungsgebern wie großen Uhren oder Kalendern, gleichbleibenden Kontaktpersonen. Die gute Informationder Angehörigen hat einen erheblichen Stellenwert. Maßnahmen der wertschätzenden Kommunikationunter Berücksichtigung emotionaler Aspekte, wie es z. B. in der Validation geschieht, haben ebenfalls eine hohe Bedeutung. Alle diese Maßnahmen werden unter dem Begriff des Delirmanagements zusammengefasst.

Prävention

Wichtig ist es, Delirien nicht nur zu behandeln, sondern das Auftreten eines Delirs durch vorbeugende Maßnahmen zu vermeiden. Solche Präventionsmaßnahmen sind:

  • Schmerzen vermeiden

  • Sauerstoffversorgung verbessern

  • Stress reduzieren

  • Wahrnehmung fördern

  • Kommunikation ermöglichen

  • Ausscheidung (Urin, Stuhlgang) normalisieren

  • Ernährung und Elektrolyt-/Flüssigkeitshaushalt normalisieren

  • Infektionen vermeiden

  • Mobilität zurückgewinnen

  • Frühzeitig Risikopatienten ermitteln

  • Frühzeitig mit der Behandlung von Risikofaktoren beginnen

  • Früherkennung durch systematisches Screening von kognitiven Fähigkeiten

  • Frühzeitiger Behandlungsbeginn bei Anzeichen eines beginnenden Delirs

Fazit

  • Delirien sind in palliativer Versorgung häufig und haben zahlreiche Ursachen.

  • Neben dem hyperaktiven Delir kommt es auch häufig zu hypoaktiven Delirien, die dann schwerer zu diagnostizieren sind.

  • Maßnahmen der nicht medikamentösen Delirtherapie (z. B. für eine sichere Umgebung sorgen) werden durch medikamentöse Therapien (Neuroleptika, Benzodiazepine) ergänzt.

  • Wichtig ist die Delirprävention.

Literatur:

  • Gerhard C. Praxiswissen Palliativmedizin, Thieme Verlag Stuttgart 2015

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.