Was die Zeit mit sich bringt Bedeutung

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der Folgezeit aufgenommene Gedanken, sondern nimmt die Gedanken, in denen seine Zeit lebte, auf und fasst sie zusammen. Darum ist sein Buch geeignet, auch auf die vorausliegende Zeit einen Blick werfen zu lassen.

Damit hängt die Beantwortung der Frage, was sich aus ihm für ikonographische Forschung entnehmen lasse, eng zusammen.

Sicardus bringt eine Anschauung von der Kunst, welche als die im Mittelalter herrschende zu bezeichnen ist. Der lehrhafte Zweck der Kunst hat die Auswahl der Kunstwerke, welche er giebt, bedingt. Darstellungen von Christus bilden den Hauptinhalt seines Bilderkreises; es ist aber nicht Christus als der Wunderthäter, sondern Christus, welcher durch seine Menschwerdung, sein Leiden und seine Herrlichkeit den Gläubigen das Heil verbürgt; auf der einen Seite der Kampf mit dem Bösen, auf der andern die Ueberwindung desselben stehen im Mittelpunkte der Betrachtung.

Im Grunde ist auch die Symbolik der Kirchengeräte dieser lehrhaften Tendenz unterstellt. Denn auch sie hat den Zweck, den Gläubigen vor Augen zu führen ,,das, was droben ist“, die himmlische Stadt, zu der sie gelangen nach Beendigung des Kampfes gegen die bösen Mächte.

Dass das Kirchenjahr in seinem gesamten Umfange, mit seinen hohen Festen, Sonntagen und Heiligentagen, mit seinen Feierlichkeiten und Prozessionen, vor Augen geführt wird, hat einerseits kulturgeschichtliche Bedeutung: denn dies lässt erkennen, in welchen Formen sich das gottesdienstliche Leben der Gläubigen bewegte; es giebt die Grundzüge, um zu bestimmen, mit welchem Inhalte diese Formen erfüllt wurden. Diese Erkenntnis ist von einer mehr allgemeinen Bedeutung für die mittelalterliche Ikonographie.

Andererseits hat diese Beschaffenheit des Mitralis spezielle Bedeutung für die Ikonographie. Denn die im kirchlichen Gebrauche befindlichen Lektionen, Gesänge etc. sind die Veranlassung zu exegetischen Erörterungen geworden; aus diesen lassen sich die allgemeinen Prinzipien mittelalterlicher Exegese nachweisen; aus ihnen ergeben sich die Grundzüge für Typologie und Allegorie; für Verwertung von Tierbildern; für Zusammenstellung biblischer Szenen; für Gruppierung heiliger Personen um einen einheitlichen

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Die bösen Geister erscheinen als Hunde und Geier (31, LXIV), als reissende Wölfe (117), als eine Herde von Ziegen, im Gegensatze zu der Schafherde, welche die Gläubigen bedeutet (114). . Judas wie die Feinde der Märtyrer werden cruentae bestiae genannt (297, 330). Die Ketzer sind giftige Schlangen (74, XXI).

Die Hölle sieht Elisabeth als ein tiefes, schreckliches Thal, voll von Feuer. Unzählige quälende Geister sind darin, welche die ihrer Gewalt übergebenen Seelen schütteln, schleifen und unmässig quälen (17, XXXII; 50, XXIV: abyssus, 101: vorago horrendae caliginis). Im Gegensatz dazu erscheint der Himmel als ein herrliches Gebäude, umgeben von drei Mauern; in seinem Umkreise liebliche Bäume und Blumen etc. (17, XXXII; dazu in Ekberts Gedicht zu Ehren des Erlösers: ... decor, quem paradisus habet

: ex lignis, fructibus, herbis, floribus omnigenis, et lene Auentibus undis, vv. 250. 51, S. 309).

Energischer geschaut, grossartiger, aber auch phantastischer sind die Bilder, welche Hildegard von Bingen schaut (bei Migne, Bd. 197). Am Anfange ihrer Schrift: liber divinorum operum simplicis hominis (bei Migne, col. 741 ff.) sieht sie ein menschenähnliches Bild, welches mit seinen Füssen auf ein Ungeheuer und eine Schlange tritt. Das Bild erklärt sich selbst als die hohe, feurige Kraft, welche alle lebenden Funken angezündet hat, als die caritas; die Ungeheuer zu seinen Füssen sind ein Bild der Zwietracht, ein Bild des Teufels, welcher selbst den Sohn Gottes am Kreuze vernichtet habe (col. 748 D). Im Scivias (lib. III, vis. VI) sieht Hildegard die verschiedenen Tugenden in seidenen Kleidern und glänzenden Schuhen: der abstinentia wird als Attribut eine Taube gegeben, der largitas ein Löwe und eine Schlange, welche von ihrem Halse bis auf die Brust herabhängt (636D). Unter den Füssen der veritas liegen ,quasi species hominum conculcatorum et contritorum ab ipsa : hoc est, quod sub vestigiis veritatis omnes diabolicae falsitates .... ad nihilum deducuntur“ (638 A). Stellen wie die letzte beweisen deutlich, wie beliebt in der mittelalterlichen Phantasie die Bezeichnung des Sieges einer Macht über die andere war durch das Bild des Tretens der siegenden Person auf die besiegte.

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Einband eines Buches zu schmücken, welches die Responsorien enthielt. Denn es lässt sich nachweisen, dass der Inhalt der bildlichen Darstellungen auf dem Buchdeckel oftmals direkt aus dem Inhalte des Buches selbst genommen war und dem allgemeinen Charakter des Buches entsprach. Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass der Künstler eine Illustration eines Responsoriums für ein Diptychon arbeitete, welches auf der Innenseite die Namen von Stiftern und

und Wohlthätern enthielt (Adventsdiptychon S. 4). Wahrscheinlicher ist es, dass der Inhalt des zu schmückenden Buches die Illustration eines aus ihm genommenen Spruches veranlasste (vgl. oben S. 55).

Wie in der Bestimmung des Zweckes, welchem die Tafel diente, so weicht auch in der oben versuchten Erklärung des Elfenbeins die Deutung der Prophetengestalt von der durch Herrn Dr. Schneider gegebenen ab. Dass die männliche Gestalt einen Propheten darstelle ist der Gewandung, des Bartes und Haares, noch mehr der Inschrift wegen unzweifelhaft. Aber welcher gemeint sei, ist fraglich.

Der Prophet der Menschwerdung im eminenten Sinne, Jesaias, sei gemeint, sagt Schneider: die Macht Gottes offenbare sich in der Rettung des Menschengeschlechtes; das responsorium selbst deute auf die Menschwerdung: es enthält selbst Gedanken, welche in den Prophezeiungen des Jesaias wiederkehren. Dazu beginnt die Kirche das geistliche Jahr mit Lesungen aus Jesaias (S. 10 und 11).

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Gründe, durch welche die Deutung auf Jesaias gestützt wird, vortreffliche sind. Ohne weiteres müsste diese Deutung als die allein richtige angenommen werden, wenn nicht durch die oben angeführten Schriftsteller selber (S. 58, 59) eine andere gegeben würde. Nicht Jesaias ist es, dem die Worte in den Mund gelegt werden, sondern Johannes der Täufer. Es müsste nachgewiesen werden, dass der erste Schriftsteller, der die Worte Johannes dem Täufer in den Mund legte, eine rein subjektive Meinung niedergeschrieben hätte und die Männer, welche ebenfalls Johannes nennen, ohne Kritik seinen Worten gefolgt wären. Das wird sich nicht nachweisen lassen. Darum erhellt aus den Worten der angeführten Schriftsteller, dass die Deutung, wie sie sie geben, eine durchaus gebräuchliche, eine in den verschiedenen Jahrhunderten des Mittelalters wiederkehrende, allgemein angenommene war. Wenn nun das Responsorium allgemein Johannes dem Täufer in den Mund gelegt wird, so beweist die Natur der Spruchbänder, dass die Gestalt, welche das Spruchband resp. die Spruchrolle in der Hand hält, keine andere sein kann als Johannes der Täufer. Denn das Spruchband trägt immer die eigenen Worte des Dargestellten. Da nun die schriftlichen Quellen Johannes den Täufer und nicht Jesaias nennen, so muss jedenfalls die Deutung auf Johannes die grössere Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen.

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gleich weissagt er das Gericht Mtth. III, 12: . . ventilabrum in manu sua et permundabit aream suam et congregabit triticum suum in horreum, paleas autem comburet igni inextinguibili (cf. Luk. III, 16. 17). Dieses Gericht vollzieht der Sohn Gottes, und der Sohn Gottes, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, ist die potentia dei. Auf diese Weise lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen beiden Tafeln herstellen; beide Tafeln dienen demselben Gedanken. Ungezwungen und ohne dass man vermittelnde Gedanken zu Hilfe zu rufen nötig hätte, erklärt sich so der Inhalt der Elfenbeintafeln.

Auch ein anderer Umstand ist der Beachtung wert: ikonographisch ist eine Darstellung des Johannes in der Weise des vorliegenden Elfenbeins wohl denkbar. Gerade in der karolingischottonischen Kunst scheint Johannes auch ohne weitere Kennzeichen gebildet worden zu sein. In der Handschrift des Kaisers Otto im Münster zu Aachen“) ist seine Enthauptung gemalt. Ein weites blaugraues Oberkleid umhüllt seinen Körper; ein besonderes Attribut ist ihm nicht gegeben. Und auch bei der Taufe Christi, welche die weitaus meisten Darstellungen des Johannes bietet, wechseln Darstellungen, welche den Täufer mit Fellen oder haarigem Mantel bekleidet bringen, mit solchen, welche ihn in einfachem Gewande zeigen.)

Auch allein ohne Teilnahme an einer bestimmten Handlung, wird Johannes dargestellt in langem Untergewande und darüber geworfenem Oberkleide. Die beigesetzte Inschrift giebt dann die Erklärung.)

Allerdings sind die angeführten Beispiele keine schlagenden Parallelen zu der Darstellung des Darmstädter Elfenbeins, sie können

1) Hsgeg. von St. Beissel, Aachen 1886. Taf. IX. 2) Strzygowsky, Ikonographie der Taufe Christi, S. 38, Tafel IX.

3) Dazu vgl. das Mosaik, das Kraus, Reale - Encyklopädie der christlichen Altertümer II, 63 nach Paciaudi, antiquitates Christianae S. 182 anführt, wo Johannes in der linken Hand einen Stab mit Kreuz hält.

Die Mosaiken in der Apsis von S. Giovanni in Laterano und S. Maria Maggiore, die allerdings erst dem XIII. s. angehören (abgebildet bei de Rossi, musaici Cristiani) geben den Täufer in der oben bezeichneten Weise.

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